Wenn Assets wieder zu Menschen werden, dann klappt auch das Outsourcing

Software-Engineering ist eine sehr persönliche Angelegenheit

Nearshore-Entwicklung hat nichts mit dezentraler Organisationskultur zu tun, sondern mit einer neuen Definition von Gemeinschaftlichkeit. So sieht es zumindest Andreas Kirsch, Vorstand der GUARDUS Solutions AG und zuständig für das reibungslose Engineering rund um das Manufacturing Execution System GUARDUS MES. Vor über zwölf Jahren gründete das Ulmer Softwarehaus seine eigene Entwicklungstochter im rumänischen Timişoara. Im nachfolgenden Gespräch berichtet der Firmenlenker über die Herausforderungen verteilter Entwicklungsstrukturen und das Erfolgsgeheimnis des GUARDUS-Ansatzes.

 

Wie hat sich GUARDUS dem Thema Nearshoring genähert?

Die ersten Überlegungen zum Thema Outsourcing begannen bereits kurz nach der Gründung der GUARDUS Solutions AG im Jahr 2002. Damals führte unser Weg zunächst über einen Partner, der uns die benötigten Mitarbeiterkapazitäten vermittelte. Diese Methode war zwar funktional aber nur begrenzt effizient. Wer wirklich „gute“ Produkte herstellen will, bindet sich auch emotional an die Aufgabe. Deshalb ist innovatives Software-Engineering eine sehr persönliche Angelegenheit. Es geht nicht darum, Ressourcen einzukaufen, sondern neue Beziehungen aufzubauen. Wirtschaftlich gesehen funktioniert die ständige Transferleistung im Nearshoring dann am besten, wenn man sich aufeinander einstellt und aktiv kommuniziert. Man hat es nicht mit Kapazitäten zu tun, sondern mit Menschen und ihren Qualitäten und Denkweisen.

 

Auf welche Weise hat GUARDUS die Standortfrage beantwortet?

Lässt man einmal politische und sicherheitstechnische Fragen außer Acht, dann gehören die Themen Infrastruktur, Bildung und geografische Nähe zu den zentralen Punkten. Um ein langfristig erfolgreiches zweites Standbein aufzubauen, haben wir uns auf Länder mit EU-Nähe konzentriert, die über eine hervorragende Bildungslandschaft verfügen und – das ist klar – attraktive Lohnverhältnisse bieten. Timişoara ist für uns der ideale Standort, da wir hier durch die Universität viele gut ausgebildete, talentierte junge Menschen ansprechen können.

 

Was sind die Grundlagen Ihres Nearshore-Konzepts?

Um Beziehungen nachhaltig aufbauen zu können, braucht man eine stabile Kernmannschaft – und das funktioniert mit eigenen Mitarbeitern deutlich besser, als mit externen Engagements. Deshalb haben wir 2005 eine eigene Tochtergesellschaft in Timişoara gegründet. Damit waren wir in der Lage, die unterschiedlichen Mentalitäten und Arbeitsweisen Stück für Stück zu harmonisieren. Heute sind wir ein integriertes, deutsch-rumänisches Team. Wir sind ein Unternehmen mit einem gemeinsamen Verständnis für die Aufgabe. Das Ergebnis: Die Effizienzrate in den Entwicklungsprozessen erhöht sich dadurch erheblich. Darüber hinaus ist Zusammengehörigkeit das Fundament für eine ganz neue Art des Miteinander. Persönliche Treffen und aktives Teambuilding sind hierfür sehr wichtig, was mit einem Zeitaufwand von einer zweistündigen Flugreise kein Problem darstellt. Dass die Einreise nach Rumänien seit 2009 ohne Visum möglich ist, hat das Reisen natürlich zusätzlich erleichtert.

 

War durch die Einbindung der rumänischen Kollegen ein Umdenken im Projektmanagement nötig?

Natürlich. Der Clearing-Prozess hat eine deutlich höhere Priorität bekommen. Sprich: Bevor es mit einem neuen Projekt losgeht, muss absolut sichergestellt sein, dass alle Beteiligten nicht nur die Aufgabe – das Coding – verstehen. Ebenso wichtig ist das Verständnis für den Kontext, in dem sich eine neue Funktion, ein neues Modul oder eine technische Änderung bewegt. Nur wer den Einsatzbereich einer Sache durchdringt, kann „aktiv mitdenken“ und sich wirksam einbringen. Nach diesem Clearing arbeiten die Teams hochgradig eigenverantwortlich und vor allem ganzheitlich an ihren Aufgaben – von der Spezifikation über die Entwicklung bis hin zum Testing, der Nacharbeit und der schlussendlichen Dokumentation.

 

Wie sieht denn nun das länderübergreifende Teambuilding in der Praxis aus?

GUARDUS kann dem Arbeitnehmer – wie die meisten kleinen Unternehmen – ein sozial familiäres Arbeitsumfeld bieten, in dem ein großer Zusammenhalt im Team entsteht. Zudem hat jeder Mitarbeiter von Anfang an eine Eigenverantwortlichkeit, die er sich wo anders erst erarbeiten müsste. Dieser Ansatz hat zwei positive Effekte: Zum einen fühlt sich der Mitarbeiter wertgeschätzt, denn er ist nicht nur eine Ressource, die nach Anweisung etwas runtercodiert, sondern er kann etwas bewegen. Zum anderen steigt die Qualität des Codes, wenn der Programmierer auf das, was er programmiert, Einfluss nehmen darf.

 

Wie würden Sie ihre Organisationsform heute beschreiben?

Ich würde sagen, ein Entwickler sitzt immer in einer Art projektbasierter Matrix. Der Consultant, der die fachlichen Anforderungen kennt und der Entwickler, der diese funktional gestaltet, bilden zusammen ein Prozessteam. Der Programmierer gehört zwar noch der Abteilung „Entwicklung“ an, durch das Projekt ist er aber gleichzeitig Teil eines Prozesses. So entsteht eine länderübergreifende Projekt-Prozess-Matrix. Größere Projekte können auch gesplittet werden, um die Prozessdurchlaufzeit durch Parallelisierung zu verkürzen und durch Spezialisierung im Projektfenster zu optimieren.

 

To be continued ...